Lehman: Herbst der Entscheidungen

Das Landgericht Hamburg hatte die Hamburger Sparkasse (Haspa) verurteilt, den Schaden aus dem Ausfall des Lehman-Zertifikats des klagenden Anlegers zu ersetzen. Das Hanseatische Oberlandesgericht hob das Urteil auf. Das Landgericht Hamburg hatte die Hamburger Sparkasse verurteilt, den Schaden aus dem Ausfall des Zertifikats des Klägers zu ersetzen. Das Oberlandesgericht Hamburg hob das Urteil auf. Wir berichteten. Nun geht es vor dem Bundes­gerichtshof in die letzte Runde. Am 27. September 2011 findet in Karlsruhe die mündliche Verhandlung statt (Az.: XI ZR 178/10).

Es geht neben der Frage, ob die Anleger über die fehlende Einlagensicherung aufzuklären waren, vor allem darum, ob die Banken den Kunden ihren finanziellen Vorteil beim Vertrieb der Zertifikate hätten offenlegen müssen. Hintergrund ist die Kickback-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH), wonach die beratende Bank auf Interessenkonflikte hinweisen muss, die sich aus dem Gewinninteresse an der Empfehlung bestimmter Anlageprodukte ergeben können. Die Banken machen geltend, die Zertifikate im Festpreisgeschäft erworben und an ihre Kunden unter Erzielung einer Gewinnmarge weiterveräußert zu haben. Gewinnmargen seien mit den hinter dem Rücken der Kunden gezahlten Rückvergütungen, über die nach der BGH-Rechtsprechung aufgeklärt werden muss, nicht vergleichbar. Sie seien daher nicht offenzulegen. Eine mangelnde Aufklärung, die zum Schadenersatz verpflichte, liege daher nicht vor.

Landgericht und Oberlandesgericht Hamburg

Das Landgericht Hamburg hatte im Urteil vom 23.06.2009 (Az.: 310 O 4/09) seine Auffassung, dass die Haspa es pflichtwidrig unterlassen habe, den Kläger über die zu erwartende Gewinnmarge aus dem Vertrieb des Zertifikats und das mit dem Vertrieb im Wege eines Festpreisgeschäfts (Kaufvertrag) verbundene Platzierungsrisiko aufzuklären, damit begründet, dass Sinn und Zweck der BGH-Rechtsprechung für eine Ausdehnung auf Gewinnmargen spreche, weil der Anleger über ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse seines Beraters aufgeklärt werden müsse, um beurteilen zu können, ob die Beratung ausschließlich im Kundeninteresse passiere oder ob eigene Interessen des Beraters oder der Bank ebenfalls eine Rolle spielen. Auch wenn es nicht um eine Zuwendung von Dritten gehe, sondern nur eine Zweierbeziehung Bank-Kunde vorliege, so sei doch das Schutzbedürfnis des Kunden das gleiche und es mache wirtschaftlich keinen Unterschied, ob die Bank ein Papier schon erworben hat und mit Gewinn weiterveräußert, oder ob dieses erst noch bei einem Dritten zu erwerben ist und dann für die Bank eine Provision fällig wird. Anderenfalls wäre eine Umgehung der Grundsätze aus der Kickback-Rechtsprechung des BGH ganz einfach dadurch möglich, dass Provisionen als Margen ausgestaltet würden. Verschärfend komme noch hinzu, dass die Haspa nicht verkaufte Zertifikate an Lehman Brothers nur mit einem Abschlag vom Einstandspreis zurückgeben konnte, wodurch der Anreiz und ein damit korrespondierender Druck zum Absatz der Lehman-Zertifikate bestanden habe.

Das Hanseatische Oberlandesgericht als Berufungsinstanz (13 U 118/09) teilte diese Auffassung nicht, und zwar unabhängig davon, ob der Anleger erkenne, dass es sich um ein Eigengeschäft der Bank handele. Das Oberlandesgericht meinte zudem, die grundsätzlich für den Kläger sprechende Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens greife nicht ein, weil er nicht plausibel dargelegt habe, dass er bei Aufklärung über die von der Haspa verdiente Marge von dem Erwerb des Zertifikats Abstand genommen habe. Selbst wenn die Bank insoweit zur Aufklärung verpflichtet gewesen wäre, sei ihr kein Verschulden vorzuwerfen, da sie dies im Zeitpunkt der Beratung im Dezember 2006 nicht habe erkennen können.

Wir meinen: Der BGH müsste die in seiner Kickback-Rechtsprechung formulierten Grundsätze der Vermeidung von vertragswidrigen Interessenkonflikten schon weitgehend über Bord werfen, wenn er dem OLG Hamburg folgen wollte.

Die Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte

Die Positionen anderer Oberlandesgerichte sind in dieser Frage gespalten: Das OLG Dresden (Urt. vom 11.05.10, 5 U 1170/09), das OLG Celle (Hinweisbeschl. vom 04.03.10, ZIP 2010, 876), der 9. Senat des OLG Frankfurt/M. (Urt. vom 21.09.10, 9 U 151/09) und das OLG Bamberg (Urt. vom 07.06.10 4 U 241/09) lehnen eine Aufklärungspflicht der Banken über Margen ab.

Der 17. Senat des OLG Frankfurt/M. (Urt. vom 08.09.10, 17 U 90/10) bejaht diese Verpflichtung und hält es für unerheblich, ob die umsatzabhängige Provision als Ausgabeaufschlag bezeichnet oder versteckt als Kostenfaktor in den Verkaufspreis eingepreist ist.

Das OLG Köln (Urt. v. 04.05.11, 13 U 165/10) ist der Auffassung, dass die Dresdner Bank, wenn sie Zertifikate im Festpreisgeschäft verkauft, dem Kunden den von Lehman Brothers als umsatzabhängige Emissionsvergütung gewährten Rabatt auf den Emissionspreis offenlegen muss. Da die Ausführung des Kundenauftrags als Kommissionsgeschäft den Regelfall darstellt, muss sie auf ihre Doppelrolle als Beraterin und Verkäuferin hinweisen.

Den betroffenen Verbrauchern raten wir, die Verjährungsfrist im Blick zu behalten, um von einem positiven Verfahrensgang profitieren zu können. In diesen „Altfällen“ gilt noch die dreijährige Verjährungsfrist des § 37 a Wertpapierhandelsgesetz, die unabhängig von der Kenntnis des Verbrauchers von seinen Ansprüchen taggenau mit dem Kauf bzw. der vorangehenden Beratung (dies wurde noch nicht höchstrichterlich entschieden) beginnt.

Unser Rat an betroffene Haspa-Kunden

Die Haspa hatte seinerzeit zwar die Verjährungsfrist pauschal um zwei Jahre verlängert, aber auch diese Frist dürfte in vielen Fällen nun bald ablaufen. Erklärt sich die Haspa nicht im Einzelfall bereit, auf die Erhebung der Einrede der Verjährung für einen weiteren zu vereinbarenden Zeitraum zu verzichten, sollten Betroffene zur Hemmung der Verjährung ein Güteverfahren vor der Öffentlichen Rechtsauskunft (ÖRA) oder dem zuständigen Bankenombudsmann in Berlin einleiten.

Nur in dem Falle, dass der Bank eine (bedingt) vorsätzliche Falschberatung vorgeworfen werden kann, gilt die kurze Verjährung nicht. In diesem Falle verjährt der Schadensersatzanspruch drei Jahre ab Kenntnis des Anlegers von der Falschberatung. Der BGH hat am 12.05.2009 in Bezug auf das Versäumnis der Bank, über erhaltene Rückvergütungen aufzuklären, befunden, dass sie darlegen und beweisen muss, dass sie dieses Versäumnis nicht zu vertreten hat (XI ZR 586/07). Da der BGH zudem am 29.06.2010 bereits entschieden hat, dass den Banken seit 1990 (XI ZR 308/09) erkennbar war, dass sie ihre Kunden bei der Beratung über erhaltene Rückvergütungen aufklären mussten, können sie sich auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum nicht berufen.(Stand:19.08.2011)

(Quelle: http://www.vzhh.de/geldanlage/129822/lehman-herbst-der-entscheidungen.aspx)

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