Wenn der Strom nicht bezahlt werden kann

Energiearmut in Sachsen: Tendenz steigend.

Der Ausbau der Stromnetze, Off-Shore-Anlagen, Photovoltaik-Technologie, Netzentgelte, EEG-Umlage und Einspeisevergütung – das sind die Schlagworte der Energiewende. Doch für einkommensbenachteiligte Haushalte in Sachsen bedeuten diese kostspieligen Vorhaben eine unerträgliche Mehrbelastung. So stehen positive Aspekte einer klimaschonenden Energiegewinnung der Tatsache gegenüber, dass vor allem einkommensbenachteiligte Haushalte (hauptsächlich Hartz IV-Leistungsempfänger) ihre Energie nicht mehr bezahlen können. Das relevante Schlagwort lautet dann Energiearmut.

Eine aktuelle Erhebung der Verbraucherzentrale Sachsen zeigt nun, dass im Jahr 2011 in Sachsen rund 1,3 Millionen Mahnungen und 250.000 Sperrandrohungen wegen nicht bezahlter Stromrechnungen verschickt wurden. Mehr als 21.600 Mal mündete der Zahlungsverzug der Verbraucher in einer temporären Stromsperre. Das ergab eine Befragung unter allen 38 Energieversorgern, die dazu verpflichtet sind, privaten Haushalten in Sachsen den Grundversorgungstarif anzubieten (Grundversorger). Teilgenommen haben daran insgesamt 18 der angefragten Unternehmen. Sie gaben an, im Jahr 2011 insgesamt 2,12 Millionen Privathaushalte mit Strom zu versorgen – sowohl in Form von Grundversorgungs- als auch Sondertarifen. Damit repräsentieren die Ergebnisse mehr als 95 Prozent der privaten Haushalte in Sachsen.

Bis auf einen Versorger schätzen alle an der Umfrage beteiligten Versorger ein, dass Energiearmut in Sachsen ein wachsendes oder gleichbleibend großes Problem ist. Die vorliegenden Zahlen belegen dies: Wurden im Jahr 2010 noch rund 18.400 Stromsperrungen durchgeführt, waren es laut Angaben der Versorger 2011 schon mehr als 21.600. Das entspricht einer Steigerung von immerhin 17 Prozent.

Lösungsansätze der Unternehmen
Zwar haben eine Reihe von Versorgern nach eigenen Angaben Angebote, um Zahlungsverzug und Stromsperren zu verhindern. Allerdings sind die Anpassung der Abschlagszahlung, das konsequente Mahnwesen sowie Stundung und Ratenzahlung keine geeigneten Mittel, Stromsperren dauerhaft zu verhindern, wenn es in den Haushalten an Geld sowie umfassender Finanz- und Energiekompetenz fehlt.
Auch einzelne Maßnahmen, wie schriftliche Energiespartipps und Hinweise auf unterstützende Institutionen wie z. B. Schuldnerberatungsstellen sind nur eingeschränkt dazu geeignet, die Stromschulden dauerhaft zu minimieren.

Energieeffizienz muss im Fokus bleiben
Rund um den Atomausstieg und den Ausbau der regenerativen Energien kommen zwei Themen in den Medien recht kurz: Energieeinsparung und Energieeffizienz. Verbraucher müssen ihren eigenen Stromverbrauch kennen und dauerhaft kontrollieren können, um selbstständig Strategien zu entwickeln und durch mögliche Einsparpotenziale die Kostenlast zu verringern. Denn nur mit einer Kombination aus Verbrauchssenkung und bezahlbaren Preisen lassen sich Schulden vermeiden. Zusätzlich können unabhängige Energieexperten mit konkreten Energiespartipps entsprechende Einsparpotenziale aufdecken.

Ohne geeignete Marktanreizprogramme und die Anhebung der Hartz-IV-Sätze nützt auch die beste unabhängige Energieberatung nichts. Denn wer sich beispielsweise keinen energieeffizienten Kühlschrank leisten kann und nicht in der Lage ist, das Geld dafür anzusparen, kann auch nicht von den anschließenden monatlichen finanziellen Einsparungen profitieren.

Verbraucher müssen auch selbst aktiv werden
Die Erhebung unter den sächsischen Versorgern belegt, was die Verbraucherzentralen seit langer Zeit befürchtet haben. Fast die Hälfte der privaten Haushalte steckt noch immer in den Grundversorgungstarifen fest. Das ist bedenklich, weil die Grundversorgung nach wie vor die teuerste Tarifklasse ist. Immerhin sank der Prozentsatz von 54 Prozent Grundversorgung im Jahr 2010 auf 48 Prozent im Jahr 2011, wie aus den Angaben der ansässigen Versorger hervorgeht. Verbraucher müssen ihr Recht auf freie Anbieterwahl gerade im Energiebereich ausnutzen, um Bewegung in die Märkte zu bringen. „Wer aus der Grundversorgung in einen günstigeren Tarif seines Anbieters wechselt, kann im Jahr bis zu 100 Euro einsparen. Verbraucher, die den Anbieter wechseln, können noch mehr sparen“, rechnet Joachim Betz, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Sachsen vor. Das Finden eines für den Haushalt geeigneten Tarifs sollte der erste Schritt für Verbraucher mit geringem Haushaltsbudget sein, um aus der Schuldenfalle herauszukommen oder gar nicht erst in diese hineinzutappen. In vielen Fällen heißt das von der Grundversorgung in einen günstigeren Sondertarif wechseln.

Die Unterstützung von Energieversorgern bei dem Wechsel von der Grundversorgung in einen Sondertarif zum Beispiel durch eine Tarifberatung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Einzig die Stadtwerke Zittau und die Stadtwerke Torgau bieten diesen Service an. Aber auch der Wechsel zu einem anderen Anbieter sollte in Erwägung gezogen werden, wenn dort noch mehr Kosteneinsparpotenzial liegt. Wer jedoch Schulden bei seinem Energieversorger hat, wird kaum einen neuen Anbieter finden und ist damit faktisch auch häufig an den Grundversorgungsvertrag gebunden.

Forderungen
„Wir haben keine Patentlösung für die grassierende Energiearmut in der Schublade liegen. Vielmehr ist ein Bündel an Maßnahmen notwendig, die von einer Vielzahl von Beteiligten umgesetzt werden müssen“, gibt Joachim Betz zu bedenken.

Die Transferleistungen müssen zur Vermeidung von Energiearmut regelmäßig an die Stromkostenentwicklung angepasst werden. Denn wie sollten betroffene Haushalte der Energiearmut entgehen, wenn der aktuelle monatliche Hartz IV-Regelsatz für „Wohnen, Energie und Instandhaltung“ 30,42 Euro beträgt, aber die realen Kosten für einen Jahresverbrauch von 1.500 kWh momentan etwa bei 37 Euro monatlich liegen?

Sobald die ersten Zahlungsrückstände vorliegen, flattern bei betroffenen Haushalten Mahnungen ein, die mit Gebühren, Entgelten und Zinszahlungen verbunden sind. Da diese nicht zur Vermeidung der Stromsperren, sondern zur Verschärfung der Schuldensituation führen, ist die Überprüfung bzw. Deckelung dieser Gebühren durch eine entsprechende Regulierungsbehörde unumgänglich.

Eine Stromsperre ist nach Grundversorgungsverordnung nur dann zulässig, wenn sie verhältnismäßig ist. Für die Versorger ist aber eher die Höhe der offenen Forderungen ausschlaggebend. Daher sollte die Härtefallregelung nach § 19 GVV bei Stromsperren konkretisiert werden. Denn es ist nicht zumutbar, dass schutzbedürftige Verbraucher, z. B. mit Kleinkindern, Behinderung oder anderen Beeinträchtigungen in einem hochentwickelten Industrieland wie Deutschland ohne Strom auskommen müssen, weil sie das notwendige Geld dafür nicht aufbringen können.

„Es ist ein Skandal ersten Ranges, dass stromintensive Unternehmen durch die Bundesregierung klammheimlich von der Zahlung der EEG-Umlage befreit wurden und diese Kosten vom Verbraucher getragen werden müssen“, so Joachim Betz. Damit der Strom auch für Haushalte bezahlbar bleibt, die knapp bei Kasse sind, muss das unsoziale Gesetz verändert werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Stromsteuer gesenkt wird oder gar ganz wegfällt, wenn die Einnahmen durch die EEG-Umlage deutlich steigen.

Aus den Beratungserfahrungen der Verbraucherzentrale Sachsen ist bekannt, dass die Zahlung von ungenau kalkulierten Abschlägen zu großen Problemen führen kann. Ist der Verbrauch höher als die angesetzte Abschlagszahlung, drohen hohe Nachzahlungen am Ende des Abrechnungszeitraumes. Ist der Verbrauch niedriger als die Abschlagszahlung, wird dem Anbieter ein kostenloses Darlehen gewährt. Daher fordert die Verbraucherzentrale Sachsen Abrechnungssysteme nach den tatsächlich verbrauchten Kilowattstunden.

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